Geheimnis um das Petrusgrab unter der Basilika

Rom im 2. Jahrhundert. Die via Cornelia ist keine vornehme Gräberstraße. Eng und steil geht es auf vom Tiberufer auf den vatikanischen Hügel hinauf. Links und rechts säumen einfache Grabhäuser der römischen Plebs den befestigten Pfad. Handwerker, Ölverkäufer, Barbiere, darunter viele freigelassene Sklaven, haben dort einen billigen Grabplatz erworben. Wollten die ersten Pilger das Petrusgrab besuchen, mussten sie diesen beschwerlichen Weg nehmen. Je weiter sie sich von dem Fluss entfernen, desto ärmlicher werden die Gräber.

Das Apostelgrab liegt am Westabhang des Hügels, ungefähr 700m vom Tiber entfernt. Hier offenbar durften die Christen den geschundenen Leichnam ihres Bischofs beisetzen – mit einer kaiserlichen Sondererlaubnis oder vielleicht durch Bestechung der Behörden. Nach dem verheerenden Brand von Rom im Jahr 64 n.Chr. hat Kaiser Nero die kleine Gruppe von Christen der Brandstiftung bezichtigt. Petrus wurde zusammen mit etwa 200 Glaubensbrüdern im nahegelegenen Circus des Kaisers hingerichtet. Es ist die erste staatlich angeordnete Christenverfolgung.
Wir befinden uns außerhalb des Pomerium, den heiligen Stadtgrenzen des antiken Rom. Auf dieser Seite des Tibers, dem ager Vaticanus, befinden sich neben kaiserlichen Monumentalbauten wie dem Circus, die Gärten der Patrizier (horti) und vor allem die Friedhöfe. Ein uraltes Gesetz verbietet, die Toten in der Stadt beizusetzen. Die Römer bestatten zumeist in oberirdischen Grabhäusern: erst in Kolumbarien (Brandbestattung) und ab Ende des zweiten Jahrhunderts in Sarkophagen (Ganzkörperbestattung). Nicht so die Juden, die ihre Toten in ein einfaches Erdgrab legen. Ursprünglich wird auch Petrus in jener Tradition beigesetzt worden sein.

Das Tropaion des Gaius

Ungefähr 100 Jahre nach dem Tod Petri gedachten die Christen das schmucklose Märtyrergrab auszugestalten und für die Nachwelt zu erhalten. Zum Schutz vor nachrutschender Erde des Abhanges wurde um 160 n. Chr. eine leuchtend rot verputzte Stützmauer errichtet. Diese Mauer ist noch heute intakt. Graffiti von Pilgern bezeugen dien regelmässigen Besuch dieser Wallfahrtsstätte. Aufschlussreich ist das griechische Inschriftenfragment „Petros Eni“, das zu „Petros en estin“, das heißt „Petrus ist hier“ ergänzt werden kann. Es wurde in einem leeren Ossarium in der Mauer entdeckt. Griechisch war die Sprache der urchristlichen Gemeinde in der westlichen Diaspora.
An diese Mauer lehnt eine zweistöckige Ädikula mit Giebel, getragen von schlanken Marmorsäulen. Sie markiert vermutlich die Stelle, in der einst die Gebeine Petri im nackten Boden vergraben waren. Eusebius von Caesarea zitiert den Presbyter Gaius (2. Jh.), der behauptet, dass man auf dem vatikanischen Hügel das „Tropaion des Petrus“ sehen kann (Kirchengeschichte II 25, 6-7). Tropaia sind Siegeszeichen im Sinne einer Grab- oder Gedenkstätte. Zusammen mit den Graffiti liefert diese Textstelle den Beweis, dass spätestens seit dem 2. Jahrhundert die besagte Verehrungsstätte unter christlichen Pilgern bekannt war und viel besucht wurde. Während der Verfolgungszeit wurden rings herum weitere Bestattungen von Heiden und Christen angelegt. Nie jedoch wurde der 7×4 m große Platz vor der Ädikula überbaut. Daraus ist zu entnehmen, dass der Platz als christliche Sakralstätte respektiert wurde.

Konstantinische Basilika

Konstantin d. Gr. begann nach dem Mailänder Toleranzedikt von 313 den christlichen Kult persönlich zu fördern. Als er 324 den Bau einer Basilika veranlasste, scheute man keinerlei baulichen Aufwand, damit das Grab in der Mitte des Chores lag. Dafür musste der Hügel angeschnitten werden, eine Kyklopenarbeit: die unteren Gräber wurden zugeschüttet, während die höher gelegenen abgetragen wurden. Damit nicht genug, wurde tonnenweise Erdreich zur Fundamentabstützung der über 100 m lange fünfschiffigen Basilika angekarrt. Man verzichtete auf die übliche Ostausrichtung der Kirche, die Apsis stattdessen gewestet, damit diese zum Petrusgrab zeigte. Konstantin ließ ferner die rote Mauer samt Ädikula in ein kostbares Mausoleum aus Marmor einfassen (memoria constantiniana). Es sollte im erhöhten Chor der Grabeskirche eine umschreitbare Andachtsstätte werden. Im 6. Jahrhundert verschwand schließlich der konstantinische Schrein unter einem bombastischen Altaraufbau.
Neubau in der Renaissance: Kuppel als Krone des Grabes
Der Zugang zum Aposteloratorium änderte sich vollends mit dem Neubau des Petersdoms im 16. Jahrhundert. Da die neue Kirche aus statischen Gründen höher gelegt werden musste, rückte das Oratorium noch tiefer, nämlich unter das Niveau der Grotten. Die 128 m hohe Kuppel hingegen wurde als von allen Seiten sichtbare „Bekrönung“ des Grabes errichtet. Tatsächlich hatte Michelangelos komplizierte Messungen mit einem Lot durchgeführt, um zu gewährleisten, dass der Zenit der 43 m Durchmesser großen Kuppel exakt über der Ruhestätte des Apostelfürsten liegt. Heute markiert die mit dem goldenen Christusmosaik verzierten Palliennische in der Confessio die Stelle über dem Oratorium. Die eigentliche Ädikula jedoch sieht der moderne Besucher nur, wenn er 11 m tief zur vatikanischen Nekropole herabsteigt.
Dass sich ein Friedhof unter der Basilika verbirgt, ist erst seit 1940 Gewissheit, als man zufällig bei dem Eintiefen der Grablege für Pius XI. auf ältere Reste stieß. Zuvor wagte man auch aus Gründen der Statik nicht, unter dem Monumentalbau zu graben. Zutage kamen in einer zehnjährigen Grabungskampagne unter der Leitung des deutschen Archäologen Ludwig Kaas (1881 – 1952) nicht nur ein Abschnitt der via Cornelia und 22 Mausoleen mit ägyptischen, christlichen und heidnischen Bestattungen. Es wurde auch das Tropaion, die Ädikula mit der roten Mauer aus dem 2. Jahrhundert unter all den späteren Umbauungen herausgeschält. Zum Abschluss des Pilgerjahres 1950 verkündete damals Papst Pius XII. stolz das Ergebnis der vatikanischen Forschergruppe: Es sei zweifellos das Apostelgrab gefunden worden.

Mutmaßliche Reliquien Petri

1953 machte man einen Aufsehen erregenden Knochenfund. Allerdings lagen Skelettreste nicht wie erhofft in der Erde, sondern waren in der besagten Mauer eingelassen. Die vatikanischen Archäologen sind davon überzeugt, dass es sich um die sterblichen Überreste Petri handelt. Die Reliquien sind heute in einem gläsernen Schrein gebettet und an der Fundstelle in der Mauer ausgestellt.
Die Identifizierung der Knochen ist allerdings in Fachkreisen nicht unumstritten. So hat der angesehene Anthropologe Venerando Correnti die Knochen drei verschiedenen Menschen und nicht einem einzigen zugewiesen. Einige Indizien sprechen für eine Umbettung der Apostelreliquien während der Verfolgungszeit in die Katakomben des Heiligen Sebastians an der Via Appia. Möglicherweise sind sie in den damaligen Wirren verloren gegangen. Auch wenn diese Frage vielleicht nie restlos geklärt werden kann, darf dennoch übereinstimmend festgehalten werden, dass das Oratorium unter der Peterskirche zumindest der Ort einer uralten und kontinuierlichen Verehrung als Petrus-Grab ist.

Nekropole kann besichtigt werden

Die besagte via Cornelia verläuft unterirdisch parallel zu der modernen Via della Conciliazione und unter dem linken Seitenschiff des Petersdoms hindurch. Im Bereich des Campo Teutonico hat man Reste des Circus entdeckt, in dem Petrus gekreuzigt wurde. Unter dem wenige Meter dahinter gelegenen Gästehaus Domus Sanctae Marthae, der Residenz von Papst Franziskus, werden weitere Reste der Anlage vermutet.

Die Besichtigung der Nekropole ist unbedingt empfehlenswert bei einem Rombesuch. Man sieht nicht nur das verehrte Apostelgrab, sondern es werden auch anhand der anderen Gräber die damals unterschiedlichsten Grabkulte und Religionen erläutert. Es erstaunt, dass im ersten Jahrhundert, also zur Zeit des Apostels, Anhänger unterschiedlicher Kulte und Religionen an derselben Gräberstraße bestattet wurden. Juden, Christen und Anhänger der orientalischen Isis-, Attis- und Kybelekulte ruhen friedlich nebeneinander. In den römischen Nekropolen war offenbar die Frage der Religionszugehörigkeit kein trennendes Element. Entscheidender war der soziale Status. Erhaltene Inschriften und Grabbeigaben erlauben sogar prosopographische Studien zu einzelnen heidnischen wie christlichen Familien im antiken Rom.
Die Nekropole ist nur mit einer Führung zu besichtigen, die vom vatikanischen Grabungsbüro (Ufficio Scavi) organisiert wird. Da wegen der Enge des Ausgrabungsgeländes nur kleine Besuchergruppen zugelassen sind, sollte man sich rechtzeitig anmelden. Anmeldung per e-Mail: scavi@fsp.va vatican.va

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